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Fiona,
die in Montana, USA, war
Wie fange ich einen
"kleinen Bericht" über mein Austauschjahr an?
Mit dem tränenreichen
Abschied am Flughafen? Mit dem Ankommen? Mit dem ersten Schultag? Vielleicht
sollte ich ein wenig vorher ansetzen. Nämlich mit dem ersten Schultag
in Deutschland -- in der 11. Klasse. Dort wollte ich in diesem Moment
am Allerwenigsten sein. Eigentlich wollte ich bereits in den USA sein,
aber durch meinen eigenen Planungsfehler musste ich nun doch noch ein
halbes Jahr warten. Meine Geschwister waren alle in dem Alter bereits
in den Staaten. Dann, wenn's eben am Kompliziertesten wird. Mit mir mussten
meine Eltern noch weitere 6 Monate auskommen und vice versa.
Typisch für mich, habe ich fast genau eine Woche vor meiner Abreise
meinen Freund als Freund kennen gelernt. Die perfekte Situation, um der
Vernunft einen Tritt in den Hintern zu geben. Ich bin schließlich
immer noch mit ihm zusammen, und das sagt einem doch viel über die
Liebe und ihre Abhängigkeit von jeglicher Rationalität. Manchmal,
wenn ich zurückschaue, überlege ich mir schon, ob ich die Zeit
nicht mehr genossen hätte, wenn ich nicht durch so etwas so sehr
an mein Zuhause gebunden gewesen wäre. Aber eigentlich war es im
Großen und Ganzen doch ein großes Glück, nicht alleine
gewesen zu sein. Zum einen, weil ich dadurch keine Beziehung in den USA
eingegangen bin, was mit einhundertprozentiger Sicherheit viel Herzschmerz
mit sich gebracht hätte, und zum anderen, weil er für mich jemand
war, dem ich ohne jegliche Hemmungen mein Herz ausschütten konnte.
Ab und zu hatte ich nämlich meine Bedenken, ob ich jetzt wirklich
meinen Eltern alles erzählen muss und habe mir überlegt, ob
es nicht sie mehr belasten als mir helfen würde. Darüber hinaus
kann man sich ja kaum eine härtere Belastungsprobe für eine
Beziehung vorstellen. Und wenn die erstmal bestanden ist, kann man sich
viel eher mit Sicherheit und Vertrauen gegenübertreten. Und wir hatten
Zeit. Sehr viel Zeit, uns gegenseitig über stundenlange Telefongespräche
kennen zu lernen, bevor so etwas wie eine tatsächliche Beziehung
überhaupt anfangen konnte. Und die anschließende Entscheidung
füreinander ist selbstredend, denke ich.
Aber so ein Freund in der Heimat macht die Abreise natürlich auch
nicht leichter. Und dafür sollte ich wahrscheinlich dankbar sein.
Aber allen Leuten, die traurig über mein Verlassen waren, konnte
ich immer wieder nur sagen, dass sie sich stattdessen für mich freuen
sollten. Immerhin sind sie meine Freunde, und die USA waren seit jeher
etwas, auf das ich voller Vorfreude geblickt habe. Und dann saß
ich im Flieger, und knapp zwei Tage später lag ich in einem Bett
das für die nächsten 6 Monate zu meinem Zuhause gehören
sollte.
Genauso abrupt wie
es hier steht kam es mir auch vor. Auf die Winzigkeit des Dorfes war ich
zum Glück gefasst, da ich schon drei Jahre vorher in einem benachbarten
Dorf war, welches sogar kleiner ist. Ich vermute, dass es gar nicht so
schlecht war, dass ich wie ein Stein geschlafen habe, andererseits hätte
ich mich wahrscheinlich die ganze Zeit gefragt: "Und jetzt? Passiert
nicht noch irgendwas?" Es passierte nämlich nichts. Ich war
einfach da. Ist das, worauf ich mich seit drei Jahren freue, nun wirklich
eingetroffen?
Stattdessen war ich mit dem Einleben beschäftigt. Meine Gastfamilie,
die Snares, nahmen mich sofort herzlich auf und gaben sich alle Mühe,
meine ersten Tage für mich schön zu gestalten. Trotzdem fühlte
ich mich am Anfang etwas fremd und kam mir irgendwo fehl am Platze vor.
Die wirkliche Wärme der Familie bekam ich erst viel später zu
spüren. Aber das ist mir dort oft aufgefallen. Ich will nicht US-Amerikaner
in eine Schublade stecken, aber in der ländlichen Gegend in Montana
ist es definitiv gang und gäbe, dass man zwar zu jedem Fremden und
Neuankömmling freundlich ist, aber keineswegs offen. Jemanden tatsächlich
ins Herz schließen tut man erst, wenn man ihn auch wirklich lieb
gewonnen hat. Und das kann schon mal ein wenig dauern.
Aber zur Ruhe kam ich auch nie wirklich, denn schon in zwei Tagen begann
die Schule für mich. Dass meine Stadt eine Schule hatte, grenzt an
ein Wunder bei so wenig Einwohnern. Doch den Unterschied zu der in Berlin
gelegenen Schule verliert man schon nach kurzer Zeit aus den Augen. Denn
eine Schule ist eine Schule und es gibt auch bei 17 Schülern tagtäglich
Geschichten zu erzählen und jeden Tag beginnt eine neue Reihe von
zwischenmenschlichen Katastrophen, Skandalen, Intrigen. Und alles untermalt
mit jeder Menge Spaß.
Als Austauschschülerin
habe ich meine Umgebung natürlich sehr genau beobachtet. Und vor
allem Unterschiede merkt man sich. Morgens, zum Frühstück in
der Schule zum Beispiel, wurde sich selten begrüßt, während
ich zu Hause viele mir auch nur halbwegs bekannte Leute umarme. Und ich
muss sagen, dass ich mich damit nur schwer abfinden konnte.
Der Unterricht war eine völlig neue Erfahrung für mich, was
ja auch Sinn und Zweck solch einer Reise ist. Meine Klasse, nein, mein
ganzer Jahrgang, bestand aus mir, Eric und Meaghan. Gesunder Menschenverstand
ließ mich -- und lässt auch noch immer Menschen aus Deutschland,
denen ich von der Größenordnung erzähle -- an der Effizienz
solch einer Klasse zweifeln. Doch genauso wie für den Schulalltag
insgesamt gilt auch hier, dass Unterricht Unterricht ist. Anders war zum
Beispiel das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern. Was auch
zu erwarten war, da man sich seit der Geburt kennt. Überhaupt, die
Tatsache, dass man miteinander redete! Das kannte ich nun gar nicht aus
Deutschland. Was wiederum bei meinen amerikanischen Schulfreunden auf
Unglauben stieß. Der andere markante Unterschied war der Einsatz
der Schüler für die Schule. Während so etwas wie eine Identifikation
in Berlin kaum stattfand, taten die Schüler in Peerless alles in
ihrer Kraft liegende, um die Schule zu einem Ort des Wohlbefindens zu
machen und an ihrer Existenz teilzunehmen. Auch ich wurde stark eingebunden
mit einem Theaterstück, für das fast täglich geprobt wurde,
durch Mitarbeit am Jahrbuch, etliche Tage der Dekoration und Vorbereitung
für Events, Teilnahme am Track & Field-Sport und vor allem durch
musikalischen Einsatz in der Schulband und im Chor. Teilweise gingen wir
im Dunkeln zur Schule und verließen sie, als die Sonne schon seit
Stunden untergegangen war. Um so einen Einsatz möglich zu machen,
muss man stolz sein. Und zwar auf die Schule und die damit verbundene
Gemeinschaft. Wie sehr mache Schüler zeigen wollen, dass sie diese
Schule besuchen und ohne es zu hinterfragen sich für sie einsetzen,
ist teilweise rührend gewesen. Stand ein Event an, das Besucher mit
sich brachte, waren alle Schüler Tage vorher in der Sporthalle und
haben völlig selbstständig etwas auf die Beine gestellt. Ohne
Murren und voller Elan. Diese Form von Leidenschaft habe ich bei Kindern
noch nie gesehen. Und ich denke, wir könnten eine Menge davon lernen.
Eine der häufigsten
Fragen, die ich von Freunden zu Hause gehört habe, ist, ob der Unterricht
denn schwer war. Auch das ist nicht ganz so leicht zu beantworten. Natürlich
habe ich mich teilweise unterfordert gefühlt. Aber das hat mich nicht
daran gehindert, mein Lernverhalten komplett zu ändern. Ich kam nach
Hause und habe tatsächlich meine Hausaufgaben gemacht! Und, was noch
viel schlimmer ist, ich habe für anstehende Tests gelernt. Ich kam
mir vor wie ein neuer Mensch.
Doch dieser positive Effekt ist nur die eine Seite der Medaille. Der relativ
leicht zu erlernende Stoff ermöglichte es mir zwar, mich zu einer
fleißigen und ambitionierten Schülerin zu mausern, allerdings
fühlte ich mich schon bald unterfordert. Nach zwei Monaten harter
Arbeit und Elan hielt ich eines Tages inne und realisierte, dass meine
Bemühungen im Prinzip unbelohnt blieben. Nicht etwa weil ich keine
A's schrieb, sondern weil meine Mitschüler ebenfalls welche bekamen
mit nicht erledigten Hausaufgaben und mittelmäßigen Leistungen.
Und dort begann für mich ein steiniger Weg zu einer von mir geschaffenen
Gerechtigkeit, den ich irgendwann abbrechen musste. Weil ich einsah, dass
es schlicht und einfach nicht in meiner Fähigkeit lag und nicht meine
Aufgabe war, das Schulsystem zu verbessern. Verbittert nahm ich hin, dass
diese Kinder Auszeichnungen für nichts bekamen und wie ihre älteren
Geschwister, die nach einem vermasselten College-Jahr mit leeren Händen
wieder zurückkehrten, eine Erziehung mit völlig falschem Ansatz
erfuhren. Aber auch dort hat es noch einmal eine Weile gebraucht, bis
ich einsah, dass ich überhaupt nicht in der Lage bin, diesen sich
immer wiederholenden Gang zu bewerten. Sie wären in der Lage, Großes
zu leisten, denn das Potenzial war da. Doch sie kommen zurück. Sie
kehren quasi heim. Und ich musste hinnehmen, dass ich mich nur in deren
Situation hineindenken aber nicht -versetzen kann.
Viele Diskussionen, Beschwerden und Auseinandersetzungen waren umsonst.
Ich habe nichts an der Großzügigkeit der Lehrer ändern
können. An der Stelle musste ich mein Scheitern akzeptieren, aber
mir dabei klar zu machen, dass es noch eine andere Perspektive gibt, dies
alles zu betrachten, macht es auch einfacher, damit umzugehen.
Während ich in der Schule mit mir rang, andere Schüler nicht
wegen ihrer Faulheit anzumeckern, habe ich mein Herz regelmäßig
bei meinem Gastvater ausgeschüttet.
Meine Anlaufstelle bei Problemen war er allerdings nicht nur hier. Es
dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass wir viele Ansichten teilten.
Es war erstaunlich, wie unterschiedlich und ähnlich zugleich wir
uns waren und sind. Eine generationenübergreifende Freundschaft dieser
Art habe ich nie für möglich gehalten. Aber wir konnten uns
stundenlang unterhalten, diskutieren, streiten und herumalbern. Zurückblickend
kann ich sagen, dass er mein bester Freund war. Wir beide hatten das Gefühl,
dass es einen Grund gibt, wieso unsere Wege sich gekreuzt haben. Gegenseitig
konnten wir uns viel beibringen und neue Anhaltspunkte geben, wie man
Probleme lösen könnte. Nach einiger Zeit ist mir dann auch aufgegangen,
was "Austauschjahr" für die meisten, die daran teilnehmen,
wirklich bedeutet.
Aber auch hier trat das altbekannte Problem schon bald wieder auf. Ich
begann, mich einzumischen. Selbstverständlich haben wir uns auch
Privates anvertraut. Was an sich kein Fehler war, doch es ging auch um
Dinge, in die ich teilweise involviert war, zum Beispiel um seine Familie.
Und ich habe einen dummen Fehler gemacht, denn ich habe versucht, zu helfen.
Aber das kann ich nur allen zukünftigen AustauschschülerInnen
raten: Haltet euch von solchen Dingen fern. Steht darüber, auch wenn
ihr die Probleme jeden Tag seht. Es ist einfach nicht unsere Aufgabe.
Ich musste wieder einmal einsehen, dass ich nicht jeden glücklich
machen kann. Vor allem weil ich aus einer anderen Kultur komme, auch wenn
die riesigen Differenzen auf den ersten Blick gar nicht so offensichtlich
sind. Eine Kultur mit anderen Wertvorstellungen, Prioritäten und
Mentalität. Mein Rat hatte dort nichts zu suchen. Was wirklich schwer
einzusehen war. Denn wie oft ist man nicht Teil von Familienstreitigkeiten.
Anfangs war ich fast neidisch auf die Familie, weil man so viel Liebe
fühlte. Doch nach ein paar Monaten kriegt man einen viel tiefergehenden
Einblick. Keine Familie ist perfekt. Mehr kann und will ich dazu nicht
sagen, denn diese Aussage muss so hingenommen werden. Natürlich wird
man als ein Teil der Familie behandelt. Und genau das kann manchmal so
ein großes Problem sein. Es gab kaum etwas Unangenehmeres für
mich als am Esstisch dabei zu sein, wenn ein Streit ausbrach. Wie verhält
man sich in so einer Situation? Dafür gibt es keine Antwort. Dem
entgehen kann man nicht, man muss -so blöd es auch klingt- es einfach
über sich ergehen lassen. In solchen Momenten bereut man es wirklich,
nie gelernt zu haben, wie man sich unsichtbar macht. Aber ich denke, an
solchen Erfahrungen wächst man auch. Man bekommt einen sehr intimen
Einblick in das Familienleben, und ehrfürchtig realisiert man, was
diese Familie eigentlich für einen aufopfert. Darüber hinaus
relativiert das Ganze auch den Blick auf die eigene Familie. Du glaubst,
ihr wärt verrückt? Zieh dir das mal rein! Gibt es überhaupt
ein "normal"? Nein. Den gibt es nicht. Jede einzelne Familie
hat ihren ganz eigenen Maßstab für Dinge, die im Rahmen liegen
oder grenzwertig sind. Insofern ist es eigentlich völlig abwegig,
etwas so komplexes zu vergleichen. Aber selbstverständlich tun wir
es trotzdem und wundern uns über die daraus resultierende Frustration.
Denn wie so oft sehen wir nur das, was besser ist als das was wir haben.
Aber wie schon erwähnt: Das Gesündeste ist es, solche Dinge
nur zu beobachten. Eigene Schlussfolgerungen muss man im Stillen ziehen,
ohne das Ziel, etwas bewirken zu wollen. Denn Leute in bestimmte Richtungen
zu lenken ist einfach und passiert schneller als einem manchmal lieb ist.
Die Konsequenzen dagegen können noch ewig nachwirken, doch man selber
ist irgendwann weg und aus deren Leben verschwunden.
Außerdem hatte ich zu Hause in Berlin genug Arbeit vor mir. Es gab
nämlich so einiges wieder in Ordnung zu bringen.
Auch das ist ein ganz
wesentlicher Bestandteil des Austausches gewesen. Was die Beziehung zu
meinen Eltern angeht, habe ich eine Drehung um 180° gemacht. So vieles
wird einem klar, und es fällt einem wie Schuppen von den Augen. Eines
Tages, auf einem kleinen Fest in der Nähe meiner Gastfamilie, kam
eine Frau auf mich zu und wir haben uns ein wenig über meine neu
gewonnen Erkenntnisse unterhalten. Und wir kamen auch auf meine Eltern
zu sprechen. Dann sagte sie einen sehr denkwürdigen Satz den ich
jedem ans Herz legen möchte: "The older you get, the cleverer
your parents become". Das ging mir ewig nicht mehr aus dem Kopf und
ich erzählte ihn auch meiner Mutter, die mich zu dem Zeitpunkt mit
meinem Vater besucht hatte. Auch so ein Anhaltspunkt, um deutlich zu machen,
wie sehr sich alles zwischen uns verändert hat. Deren Ankunft hat
für mich ungefähr genauso viel bedeutet wie meine Abreise aus
Berlin. Ich habe mich wahnsinnig gefreut und war überglücklich,
sie wieder in die Arme schließen zu können.
Und seitdem lege ich auch jedem nahe, das Verhalten der Eltern einmal
zu überdenken. So oft verlangen wir von ihnen, nicht nur unsere Fehler
zu sehen, sondern auch unsere Bemühungen, Erfolge und unsere Errungenschaften.
Aber wie oft bedanken wir uns denn bei unseren Eltern für das, was
sie für uns tun? Für den ordentlich geführten Haushalt,
für warme Mahlzeiten, für das Geld mit dem wir uns Klamotten
kaufen, für die Aufopferung ihrer Zeit um uns ein schönes Leben
zu ermöglichen. Darüber hinaus ist mir in den USA erst aufgefallen,
dass meine Eltern Menschen wie du und ich sind. Auch sie haben Gefühle,
und -... auch sie altern. Mittlerweile versuche ich ihnen so gut wie möglich
zu helfen und sie zu ermutigen, sich auch mal etwas zu gönnen.
Aber ich denke, ganz alleine wäre ich auch nicht zu all diesen Einsichten
gekommen. Dabei hat mir ein anderer Austauschschüler ein wenig unter
die Arme gegriffen. Er lebte in einem benachbarten Ort, und obwohl wir
nicht sehr viel Kontakt hatten (oder es auch im stillen Einverständnis
vermieden, denn wir sind nicht in die USA gegangen um mit Deutschen Zeit
zu verbringen), bin ich doch froh, dass er da war. Es gibt Dinge, die
kann nur ein Austauschschüler nachempfinden. Da gibt es zum Beispiel
diese "Phase", die nach zwei Monaten auftritt. Am Anfang ist
man non-stop mit Einleben beschäftigt. Es ist alles neu und spannend,
alle sind interessiert an dir und versuchen, freundlich zu sein. Aber
das lässt auch irgendwann nach. Man bringt Tag für Tag mit einer
sich langsam einschleichenden Routine hinter sich und kann sich endlich
mal ein wenig zurücklehnen. Und plötzlich kann man über
solche Dinge wie Heimweh nachdenken. Oder erste Schlüsse ziehen.
Was von meinen Erwartungen ist bisher eingetroffen? Ich bin froh, dass
ich mit diesen Überlegungen nicht alleine dastand, sondern mit ihm
Gedanken darüber austauschen konnte. Oder eben über diese Geschichte
mit der Familie. Wie man sie auf einmal vermisst!
Ähnlich stark
wie der Blick auf meine Familie hat sich auch der auf meine Freundschaften
in Deutschland verändert. Im Nachhinein muss ich sagen, dass es im
Prinzip ein Luxus gewesen ist, Freunde solch einer Probe unterziehen zu
können. Denn du wirst feststellen, wer deine Freunde sind. Daran
führt nichts vorbei. Du wirst merken, was Freunde sind und welche
freundschaftlichen Dienste wirklich von Bedeutung sind.
Natürlich hatte
ich damit gerechnet, dass manche Leute den Kontakt nicht aufrechterhalten
werden. Aber darauf gefasst gewesen zu sein war trotzdem hilfreich. Wenige
haben selber die Initiative ergriffen und noch weniger haben mir etwas
geschrieben, was für mich noch von Belang war. Dabei, und das ist
viel bemerkenswerter, hat man kaum über etwas anderes geredet als
sonst. Aber ich bin diejenige die sich über die Zeit hinweg verändert
hat. Größtenteils durch meine Prioritäten, die sich nun
stark von denen ehemalig nahe stehender Personen unterscheiden.
Herausragend ist dabei meine relativ neu angeeignete Sicht auf eine ganz
bestimmte Art, seine Freizeit zu gestalten. Und zwar ist mir aufgefallen,
wie wichtig es ist, sich auch mal eine Auszeit zu gönnen! Während
ich vor dem Austausch wahrscheinlich locker ein Jahr lang kein einziges
Wochenende zu Hause geblieben bin, überlege ich mir mittlerweile
drei mal, ob ich tatsächlich tanzen, ausgehen, trinken oder abfeiern
will. Ich habe das Gefühl, dass es mir damals nur um die Idee selber
und in welches Licht sie mich rückt mochte. In Peerless gab es schlicht
und einfach nichts, was man abends hätte tun können, außer
vielleicht auf Bäume klettern. Aber mir ist dort aufgefallen, wie
gut es mir eigentlich tat, auch mal auszuspannen und den Ausgleich zur
stressigen Woche nicht durch aggressiven Spaß zu erlangen, sondern
indem ich mir auch mal etwas Ruhe gönne, und ich bin jetzt weitaus
wählerischer, wenn es wieder heißt "Hey, was machst du
heute?". Und die positiven Auswirkungen kriege ich sehr deutlich
zu spüren. Manchmal muss man einfach überlegen, ob man seinen
Alltag nach gängigen Idealen ( Für Teenager: so schnell wie
möglich zu leben ) ausrichten will. Und mit "anders sein"...habe
ich wirklich kein Problem.
So befremdlich die
USA manchmal auch sein mögen, auch hier zieht die Zeit unbarmherzig
vorüber. Auch wenn ich zugegebenermaßen manchmal die Tage gezählt
habe, war der letzte Tag doch ein unwillkommener Termin, den ich versuchte,
so lange wie möglich zu ignorieren. Trotzdem war er dann plötzlich
da. Das schlimmste an der Situation am Flughafen war eigentlich die Leere
in meinem Kopf. Es gab so vieles, so viel, was ich ihnen noch sagen wollte
- und raus kam nichts. Alles erschien mir zu banal, um meinen unendlichen
Dank ausdrücken zu können und was mir durch den Kopf ging. Aber
ich glaube, die Blicke, die wir austauschten, konnten alles sagen. Für
manche Gefühle gibt es eben keine Worte.
Ich hoffe, dass mich meine Gastfamilie eines Tages hier in Berlin besuchen
wird, damit ich zumindest bruchstückhaft etwas von dem, was sie für
mich taten, zurückgeben kann.
Als ich dann zwei
Tage später zu Hause war, erahnte ich bereits, was auf mich zukommen
würde. Aber ich war diesmal vorbereitet und hatte genug Zeit, um
mich darauf gefasst zu machen. Jetzt, wo ich diesen Text schreibe, kann
ich bestätigen, dass alles ziemlich genau so eingetroffen ist, wie
ich vermutete. Es dauerte wieder Wochen, bis ich wirklich realisiert hatte,
dass ich wieder zu Hause war. Lange Zeit hatte ich weder Lust, Bekannte
zu sehen, noch überhaupt auf die Straße zu gehen. Viel zu viele
Dinge gingen mir durch den Kopf, da ich auch meine Umwelt viel aufmerksamer
betrachtete und mir das genügend Gründe zum Nachdenken gab.
So verbrachte ich meine Sommerferien in Berlin, noch immer ein wenig trunken
von dieser Reise und nicht selten mit einem kleinen Lächeln auf den
Lippen, denn auch zu Hause wird man gerne und oft an Momente in den USA
erinnert, die man nie vergessen wird. Der Geruch von frisch gebackenem
Bananenbrot, der morgens durch das ganze Haus strömte und alle aus
den Betten lockte, der Stromausfall, der uns auf die Idee brachte, im
Haus am Campingkocher Gitarre zu spielen, einer der stolzesten Momente
meines Lebens, als ich wagemutig vor 200 Leuten auf einer Abschlussfeier
sang, nächtliche Gespräche mit meiner Gastschwester mit Nagellack
und Sonnenblumenkernen, die irgendwann zu einer selbstverständlichen
Angewohnheit wurden und andere immer wiederkehrende Reminiszenzen vor
meinem geistigen Auge. Schöne, traurige, aufregende, besinnliche
Erinnerungen für die ich auf ewig dankbar sein werde.
Was dieses Jahr für
mich bedeutet hat ist schwer in Worte zu fassen. Und wie oft musste ich
nicht die Frage "und, wie war's?" mit einem "gut"
abtun, auch wenn das noch so schmerzte. Aber die Frage war es einfach
nicht wert, ernsthaft beantwortet zu werden. Denn wie drückt man
aus, was ich in den 6 Monaten erlebt, gesehen, durchgemacht und vor allem
gelernt habe? Ich bezweifle sogar, dass man das alles überhaupt in
Worte fassen kann, das hier ist nur ein zaghafter Annäherungsversuch.
Vor allem, weil die ganze Tragweite des Abenteuers nur für einen
selber ersichtlich sein kann. Das habe ich auch gemerkt, als ich dann
nach Hause kam. Natürlich hat man gewisse Ängste, Sorgen und
Erwartungen an die Rückkehr. Doch nach spätestens einer Woche
wird einem klar, dass kaum etwas davon eingetroffen ist. Schlimmer noch,
es ist eigentlich fast alles gleich geblieben.
Und da beginnt das
eigentliche Problem, das man als Außenstehender nur schwer nachempfinden
kann. Nämlich eine Enttäuschung, die man so noch nie kennen
gelernt hat. Man hatte nicht befürchtet, sondern gehofft, es wäre
plötzlich alles anders.
Man hat eine Reise hinter sich, die in ihrer Bedeutung einem ganz neu
angefangenem Leben gleicht. Und zu Hause...scheint die Zeit stehen geblieben
zu sein. Man hat vielleicht ein oder zwei Beziehungen und Trennungen unter
Freunden verpasst, vielleicht haben die Eltern im Haus einiges verändert,
das Fernsehprogramm ist noch ein bisschen mehr abgestumpft, es gab irgendeinen
Kult, von dem man zum ersten Mal hört (in diesem Falle Knut), unter
Umständen einen Skandal an der Schule... und das war es. Nein, 6
Monate sind wirklich keine lange Zeit. Und ich bin sicher, dass Schüler,
die doppelt so viel Zeit im Ausland verbracht haben, genauso darüber
denken. Hatte man nicht das Gefühl, ewig weg gewesen zu sein? Zwar
hat man in der Regel nur einen Geburtstag in einer anderen Familie gefeiert,
aber man denkt doch trotzdem, man sei nun "erwachsen". Oder
ist es vielleicht doch ganz anders?
Jetzt steht man da, mit all den neuen Eindrücken im Gepäck,
Geschichten, die von einer anderen Welt erzählen, von den Leben vieler
neuer Menschen, einer anderen Kultur, einem anderen Land... mit einem
anderen Leben. Und es kommt einem vor, als würde sich die Heimat
über einen lustig machen, die Relevanz des Erlebten relativieren,
indem einem vor Augen geführt wird, wie wenig sie sich doch verändert
hat.
Am Ende bleibt es einem selber überlassen, was für Schlussfolgerungen
man daraus ziehen will. Ich persönlich habe vor allem gelernt, dass
solch einschneidende Erfahrungen auch auf eine stille und unscheinbare
Weise einen gewaltigen Einfluss auf mich nehmen können. Und ich will
mich nicht davon entmutigen lassen, sondern der Zukunft überzeugt
entgegentreten und Gelerntes, sowie Vorsätze mitnehmen und umsetzen.
Klar ist: Mein Austauschjahr werde ich niemals vergessen.
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